Kritisch und
hintergründig
Den Barbier durch
den Fleischwolf gedreht
Osnabrück. Schrill, grell und laut. So kommt der musikalische Thriller "Sweeney Todd" des amerikanischen Musical-Komponisten Stephen Sondheim daher. In einer Inszenierung von Wolfgang Lachnitt hatte die blutrünstige Story des "dämonischen Barbiers aus der Fleet Street" jetzt im Osnabrücker Stadttheater Premiere.
Burlesk erzählen Osnabrücks Theatermacher die Geschichte des Sweeney Todd alias Benjamin Barker, der durch die Intrige des Richters Turpin unschuldig ins Gefängnis kam und sich nach seiner Rückkehr nach London blutig rächt. Seine Frau ist, so wird ihm erzählt, tot, seine Tochter befindet sich in der Hand des Richters. Über dem Pastetenladen der Mrs. Lovett eröffnet Sweeney einen "barber shop", und gemeinsam mit ihr befördert er dann einen Kunden nach dem anderen ins Jenseits, beziehungsweise in die Pasteten, die reißenden Absatz finden. Schließlich befreit Sweeneys Kamerad Anthony die Tochter des Barbiers aus den Fängen des Richters, der endlich auch dran glauben muß.
So grotesk wie diese hier nur ansatzweise wiederzugebende wilde Story, übrigens eine alte Schauergeschichte, ist auch die Osnabrücker Inszenierung. Lachnitt und Ausstatter Raimond Schoop ziehen alle Register der Übersteigerung, der Überzeichnung und der Karikatur. Mit derb-klassischen Mitteln bringen sie Sondheims musikalischen Thriller, der einer Oper näher steht als dem Musical, auf die Bühne. Wilde Frisuren und grellbunte Kleider prägen das Bild, der Rasierpinsel ist ein Tapezierquast und Mrs. Lovetts Fleischwolf eine Mischung aus Waschmaschine und Aufzug.
Das alles ist durchaus witzig anzusehen, aber unter diesen groben Strichen leidet jedoch das Gesamtbild, zumal das musikalische. Das Ensemble des Musiktheaters spielt zwar herrlich burlesk mit, allen voran Paul Gay als - in Stimme und Statur - mächtiger Barbier Sweeney Todd und der Wirbelwind Carin Schenk-Schmidt als Mrs. Lovett.
Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen, nur wenige Gags zünden so richtig, und gruselig, nein, gruselig ist das Ganze überhaupt nicht, auch zartbesaitete Gemüter dürften ungewöhnlich viel Phantasie aufbringen müssen, um blutrünstige Schauer zu verspüren.
Das Gesangsensemble und der Chor hingegen ziehen sich mehr als achtbar aus der Affäre. Hannes Schmidt als Anthony, Michail Milanov als Richter Turpin, Marlene Mild als Todds Tochter Johanna und Hans-Hermann Ehrich als Büttel Bamford überzeugen in ihren Partien nicht nur stimmlich, sondern auch komödiantisch. Gleiches gilt für Hélène Obadia, die eine Bettlerin, in Wahrheit Sweeneys noch lebende Frau spielt. Ricardo Tamura hat nur eine kurzen Auftritt, als feister Quacksalber Pirelli wirkt er, bevor Sweeney diesen Konkurrenten ermordet, wie eine Mischung aus "Leningrad Cowboy" und barockem Elvis Presley.
Der Assistent des Quacksalbers wird schließlich dem mörderischen Barbier zum Verhängnis. Toby, eine Paraderolle für den musikalischen Erzkomiker Mark Hamman, kommt hinter das finstere Treiben und ersticht Sweeney, nachdem der kurz zuvor auch noch Mrs. Lovett ins Jenseits befördert hat. Am Ende steht er allein mit dem Liebespaar Anthony und Johanna da. London ist, so möchte man meinen, entvölkert.
Als der letzte Ton aus dem Orchestergraben verklungen war - das Osnabrücker Symphonieorchester spielte das durchaus anspruchsvolle Werk unter der Leitung von Lutz de Veer mit hohem Engagement und rhythmisch nahezu perfekt, wenn auch zuweilen etwas zu laut - zeigte sich das Publikum gespalten. Ein Teil feierte das gesamte Ensemble begeistert und mit einer stehende Ovation, andere nahmen die Premiere eher gelassen auf. Irgendwie passend für eine Inszenierung, die durchaus polarisierend wirken will: Man mag den Osnabrücker "Sweeney Todd" - oder man mag ihn nicht. Zwischentöne sind, genau wie im Stück selbst, nicht drin.