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Kritisch und
hintergründig

horizontale Linie
Wartezustand
für die Ewigkeit

2001

 
Stationen
der Gefühle

1999
Das Leben:
ein Wartezustand für die Ewigkeit
Osnabrück. Ob die Königin von Saba jemals erscheinen wird, bleibt im Dunkeln - der Tod kommt dafür mit um so größerer Gewißheit. Beides aber, das eine offensichtlich, das andere eher auf den zweiten Blick, hat mit Warten zu tun - und auch mit Erwartung, mit Bangen und mit Hoffen.
 
Gewartet, gebangt und gehofft, vor allem aber gefühlt wird in beiden Stücken des zweiteiligen Tanzabends, der vor einigen Tagen in Osnabrücks Stadttheater Premiere hatte. So unterschiedlich die Themen von Örjan Anderssons "Arrival of the Queen of Sheba" (Die Ankunft der Königin von Saba) und Gregor Zölligs "Himmelsstürmer" auf den ersten Blick auch scheinen mögen, in einem Abend zusammengefaßt bieten sie auf faszinierende Weise Interpretationen der gleichen Gefühle und Stimmungen, wenn auch mit unterschiedlichen Stilmitteln und Inhalten.
 
Die Ankunft der Königin verzögert sich. Angekündigt ist sie, der rote Teppich ist ausgerollt, hinten erkennt man die grüne Tür, durch die sie - bald, sicher bald - schreiten wird. Das wartende Volk übt schon einmal den Tanz, der nach ihrem Entrée getanzt werden wird.
 
Aber die Königin erscheint nicht. Langeweile macht sich breit, Übermut wechselt mit Apathie. Die Spannung entlädt sich in Herumtollen und Clownerien - und schlägt plötzlich in Gewalt um, als einer es wagt, dem gerade vorherrschenden "Wartetrend" nicht zu folgen. Anderssons Choreographie, eine Neueinstudierung des 1996 in Stockholm entstandenen Tanzstücks, läßt die Tänzer alle möglichen Gefühlszustände durchleben, die einen Menschen beim Warten beschleichen, anspringen, überkommen können. Prägnante Motorik und variantenreiche Gesten paaren sich dabei mit einer nahezu perfekten Harmonie der Tanzbewegung. Die folkloreartige Musik mit keltischen Klängen und Klezmertönen trägt das ihre zur suggestiven Wirkung der Bilder und Szenen bei.
 
Dann das Sakrileg: Einer durchbricht das Warten und - öffnet die Tür. Erwartungsvoll blickt erst der Vorreiter, blicken dann alle ins Licht, das durch den Spalt scheint. Doch umsonst: es erlischt gleich wieder, die Königin erscheint nicht. Das Warten war sinnlos - und doch wieder nicht, denn eigentlich ist das menschliche Leben nichts anderes als Warten.
 
 
Und sei es nur das (unbewußte) Warten auf den Tod, durch den wir alle zu "Himmelsstürmern" werden. Diese Himmelsstürmer läßt Gregor Zöllig in seinem Stück, das er wie gewohnt in Zusammenarbeit mit den Tänzern choreographiert hat, mit facettenreichen Assoziationen aus verschiedenen Kulturen spielen.
 
Am Anfang ist das Spiel, das Leben, das Spiel des Lebens, aber schon bald kommt die Gefahr ins Spiel: Geschicklichkeitsübungen mit dem Messer, das blitzschnell zwischen den Fingern zusticht, dann über den ganzen Körper hinwegfliegt, bald hier, bald da neben ihm einschlägt. Plötzlich ist der Tod - fast unmerklich zwar, aber doch spürbar - präsent: in der Mutprobe auf den Holzkisten, die hoch aufeinandergestapelt werden (Ausstattung: Norbert Ziermann), in der Nacht, wenn sich jeder in seine eigene kleine Kiste zurückzieht, wenn zu mystischen Klängen die eigenen Ängste hochkriechen, wenn man das Ende der Dunkelheit herbeisehnt.
 
Der Tod, das ist das Warten auf den körperlichen Verfall: Einer zählt alle Zipperlein auf, die ihm drohen, zieht jede Falte in seinem Gesicht mit dickem Strich nach, entblößt seine Hypochondrie. Die Einsamkeit: Eine bespricht ihr Diktiergerät mit scheinbar sinnlosen Sätzen, um sich dann mit der Konserve der eigenen Stimme zu unterhalten. Der Tod ist Verlust und Verlassenheit ("I Miss You"), schließlich allgegenwärtige Bedrohung, treibt die Menschen zu stampfenden Trommelklängen vor sich her - und erreicht sie endlich alle: Die Tänzer stellen ihre eigenen - unsterblichen - Porträts auf die Holzkisten, die zu Grabstelen geworden sind. In der Dunkelheit tönt schließlich nur noch eine unsicher fragende Stimme vom Band: Der Dialog ist zu Ende. Aber die Hoffnung bleibt.
 
Einen Moment lang hielt das Premierenpublikum angesichts der beeindruckenden Tiefe der "Himmelsstürmer" inne, bevor Compagnie und Choreographen gefeiert wurden - verdienter Lohn für beredte Tanzbilder mit hoher Ästhetik, deren faszinierende Darstellung der Emotionen reichlich Gelegenheit zum intensiven Nachdenken über das eigene "Warten" bot.
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