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Von Mensch
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2017

 
Der Herr
der Rosen

1999

 
Berührendes
Theater

1999
Überzeugungstäter in Sachen
"berührendes Theater"
Osnabrück. Zwei weit verbreitete Vorurteile besagen, Schweizer seien erstens langsam und zweitens konservativ. Ein Eidgenosse, der gleich beide Ansichten aufs quirligste widerlegt, ist Gregor Zöllig, der Leiter des Tanztheaters an den Städtischen Bühnen der Hasestadt. Kurz vor der Premiere der neuen Produktion "Busstation/Bus-Stop", die am 26. November im emma-theater über die Bühne gehen wird, trafen wir den gebürtigen St. Galler in Osnabrück.
 
Gregor Zöllig ist ein tänzerischer Überzeugungstäter. Und in den letzten drei Jahren, seit er in Osnabrück arbeitet, hat er eine Vielzahl von Menschen überzeugt, sich das anzuschauen, was man landläufig "Ballett" nennt, in der Form aber, wie Zöllig es präsentiert, nichts mehr mit klassischem Ballett zu tun hat. "Der Tanz hat eine zeitgenössische Form gefunden", erklärt Zöllig seine Art des Ausdruckstanzes, die er an der Folkwang-Schule in Essen erlernte, "eine assoziative Form".
 
Anders als im klassischen Ballett geht es Zöllig nicht um die Darstellung einer - womöglich märchenhaften - "Eins-zu-eins-Geschichte". Er will Emotionen umsetzen, Gefühle darstellen, sie in Bilder kleiden. So auch in "Busstation/Bus-Stop", das er gemeinsam mit Andreas J. Etter choreographiert: "Wenn Sie an einer Haltestelle auf den Bus warten, dann haben sie zehn Möglichkeiten, das zu tun. Ich habe zehn andere Möglichkeiten, Andreas hat wieder zehn. Zusammen sind das schon dreißig - und daraus lassen sich Gefühlsbilder schaffen."
 
Das klingt profan, hat aber durchaus seine Tiefen. Daß sich diese Gefühlsbilder nämlich nicht auf Anhieb jedem Theaterbesucher erschließen, ist dem temperamentvollen Compagniechef natürlich bewußt. "Wer einen unserer Abende sieht, dem ist nicht immer alles auf Anhieb klar", gibt er zu, sieht sich und das Publikum dadurch aber positiv herausgefordert. Der Zuschauer muß das, was er auf der Bühne sieht, für sich selbst umsetzen, sich vielleicht auch zu Hause noch einmal überlegen, wie er sich gefühlt, was ihn angesprochen hat. "Diese Fragen muß man sich schon beantworten, aber wenn man das getan hat, dann weiß man, was ein solcher Abend einem gegeben hat."
 
Offenbar waren dazu in den letzten Jahren zahlreiche Tanztheaterbesucher bereit, nach anfänglicher Ablehnung allerdings. Zöllig: "Im ersten Jahr liefen viele Leute aus dem Theater. Im zweiten hatten wir dann Zuwachs." Inzwischen sind die Aufführungen, die zumeist im intimen emma-theater stattfinden, üblicherweise voll oder doch fast voll.
 
Gregor Zöllig Quirliger St. Galler: Gregor Zöllig, der Chef der Osnabrücker Tanzcompagnie.
Foto: Volker Göx
 
 
Das liegt natürlich an Zölligs Art, Tanztheater zu "machen", aber sicher auch an den vielfältigen Aktivitäten, die der Schweizer außerhalb der Bühne entwickelt. "Wir veranstalten jedes Jahr eine Tanzwerkstatt, in der mittlerweile mehr als tausend Menschen unterschiedliche Formen des modernen Tanzes aktiv kennengelernt haben", betont er nicht ohne Stolz. Außerdem gibt es einmal im Monat einen Workshop, in dem speziell Lehrern, aber auch einfach nur am Tanz interessierten Menschen nahegebracht wird, wie Tanztheater entsteht und was Zöllig und seine Compagnie darunter verstehen.
 
Angesichts derartiger Aktivitäten entsteht fast zwangsläufig ein Forum - und genau als das möchte Gregor Zöllig "sein" Tanztheater auch verstanden wissen. Nicht nur im Hinblick auf das Publikum, sondern auch in der täglichen Arbeit. "In unseren Ballettsaal kommen regelmäßig die elf Tänzer der Compagnie, aber auch Choreographen von außerhalb", erklärt er. Mit den kreativen Ideen dieser Menschen entstehen immer wieder unterschiedliche Sachen, treffen unterschiedliche Ansätze aufeinander. "Wenn das gelingt, dann ist Tanztheater präsent."
 
So ähnlich soll es, geht es nach Gregor Zöllig und Tänzer Andreas J. Etter, übrigens ebenfalls Schweizer, auch mit "Busstation/Bus-Stop" sein. Allzuviel verraten die zwei zwar noch nicht, zu sehr stecken sie noch im kreativen Prozeß. Aber Zöllig läßt schon einmal durchblicken, daß er sich in seinem Teil der Choreographie mit emotionalen Umständen befassen wird, während Etter einen anderen Weg geht und die Bushaltestelle eher als Rahmen nimmt. Zöllig: "Dabei entstehen zwei konträre Stücke aus dem gleichen Thema."
 
Diese Art der Arbeit sei übrigens keine Selbstverständlichkeit bei Compagniechefs, betont Andreas Etter. "Normalerweise gibt es im Tanztheater über Jahre einen 'Alleinherrscher'. Es ist also eine Ausnahmesituation in Osnabrück, daß wir Tänzer mit vielen Choreographen arbeiten dürfen."
 
Zöllig also ein richtiger Demokrat? Er lacht. "Ja - aber nicht in der Kunst!" Das wäre für einen Überzeugungstäter, der "berührendes Theater" machen will, auch kaum vorstellbar. Er sieht Tanztheater als "ehrliche Kunst", die zeitgenössische Bilder schafft, und genau die will er dem Publikum nahebringen. Aber Zöllig wäre nicht Schweizer, verfügte er nicht über eine gewisse Bodenständigkeit. Künstlerisch anregen lassen er und seine Compagnie sich von dem Ort, an dem sie leben und arbeiten. "Wir schaffen aus Osnabrück, wir sind inspiriert von Osnabrück", betont Zöllig mit dem Ausdruck tiefster Überzeugung. Mehr noch: "Wir sind Teil von Osnabrück."
 
Bei aller Freude und aller Überzeugungskraft, eines wird auch ein erfolgreicher Compagniechef nicht los: die Sorge um den Fortbestand des Tanztheaters. Angesichts der knappen Kassen tanzt die Angst da immer mit. "Man weiß eigentlich nie, ob man in der nächsten Spielzeit noch da sein wird", erklärt Zöllig die Situation. Aber das, so gibt er unumwunden zu, gehört eben auch zum Beruf, nicht nur bei Tänzern und Choreographen, sondern bei allen Theaterleuten.
 
Gregor Zöllig und Andreas J. Etter Zwei Schweizer in Osnabrück: Gregor Zöllig (links) und Andreas J. Etter bereiten zur Zeit den Tanztheaterabend "Busstation/Bus-Stop" vor.
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