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Nieder mit der Strahlenkeule! Während das Fernsehen schon lange digital ist, schaukelt das gute alte Dampfradio immer noch auf altmodischen analogen Wellen durch den Äther. Aber damit schon ist bald Schluss, denn auch das Radio soll digital werden. Der heutzutage weit verbreitete Dudelfunk dürfte dann zwar besser klingen, am Programm aber wird sich – wie seinerzeit beim Fernsehen – wohl nichts ändern. Allerdings steigen durch die Digitalisierung die Risiken und Nebenwirkungen. Manchmal sogar schon lange bevor die Bits und Bytes auf die Reise geschickt werden.
 
Heute Morgen traf ich beim Brötchenholen im Supermarkt auf Nachbar Frantzen, der sich sichtlich leidend von Regal zu Regal schleppte. Als ich mich mitfühlend nach seinem Befinden erkundigte, winkte er ab. "Fragen Sie mich nicht", sagte er leise. "Seit Wochen mache ich keine Nacht ein Auge zu. Und das nur wegen dieses neuen Radios." Warum er das Gerät denn nicht zurückgebe, wenn es seinen Schlaf störe, fragte ich ihn. Frantzen schaute mich ungläubig an: "Wer spricht denn von einem Gerät? Sagen Sie bloß, Sie haben noch nichts von dieser neuen Antenne gehört, die man ein paar Kilometer von hier installiert hat? Die sendet jetzt das neue Digitalradio, und das arbeitet mit Strahlen, die uns alle krank machen."
 
Er habe schon alle Fenster mit speziellen Schutzfolien beklebt und sogar die Außenwände mit Antistrahlenfarbe streichen lassen, berichtete Frantzen mit brüchiger Stimme. Aber das habe alles nicht geholfen: "Im Gegenteil, es ist immer schlimmer geworden." Ständig habe er Kopfschmerzen und Ohrensausen, deshalb sei er auch schon mehrfach krankgeschrieben worden. Und das sei noch lange nicht alles: "Seit die Antenne aufgebaut wurde, ist meine Haut total trocken und ständig brennen mir die Augen. Mein Arzt vermutet sogar, dass ich Herzrhythmusstörungen habe", sagte er. Morgen müsse er deshalb zur Untersuchung ins Krankenhaus.
  Auf seine zahlreichen Beschwerdebriefe habe er natürlich nur abwiegelnde Antworten bekommen, fuhr Frantzen fort. "Deshalb habe ich jetzt eine Bürgerinitiative gegen die Antenne gegründet", sagte er und kramte mit zitternden Fingern in seiner Jackentasche. Mit den Worten "Wollen Sie da nicht auch mitmachen?" reichte er mir einen Zettel, auf dem in großen Buchstaben der Aufruf "Nieder mit der Strahlenkeule!" prangte. Ich steckte das Blatt ein und versprach Frantzen, mir einen Beitritt zu seinem Verein zu überlegen. Dann verabschiedete ich mich, natürlich nicht ohne ihm gute Besserung zu wünschen. Als ich den Supermarkt verließ, meinte ich, einen Anflug von Kopfschmerzen zu verspüren. Mein linkes Auge begann zu brennen. Am Frühstückstisch erzählte ich meiner liebenden Gattin von der Begegnung. Sie sah mich spöttisch lächelnd an. "Männer!" sagte sie dann und reichte mir die heutige Ausgabe unserer Lokalzeitung. "Seite drei", grinste sie. Als ich die Seite aufschlug, fiel mir ein großer Bericht ins Auge. "Mehr Programme in besserer Qualität", lautete die Schlagzeile. "Neuer digitaler Radiosender nimmt in vier Wochen den Betrieb auf."
 
Diese Geschichte stammt aus meinem Buch "Was dachtest du denn, Schatz?", das in jeder Buchhandlung und als E-Book zum Beispiel bei Amazon oder Thalia erhältlich ist.
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